Verantwortung in Zeiten multipler Krisen

Haushaltsrede von Aljoscha Löffler in der Gemeinderatssitzung am 10. Oktober 2023:

Unsere Lebensgrundlagen erhalten.

Keine Kürzungen im Klimaschutzbudget

Klimaanpassung als neue Herausforderung annehmen

Biodiversität schützen und vermitteln

Nachhaltige Mobilität bringt Lebensqualität

Ältere Menschen zuhause unterstützen

Kinderbetreuung fair finanzieren

Istanbul-Konvention als Pflichtaufgabe verstehen

Gesellschaftliche Vielfalt fördern

Willkommensstruktur ermöglicht Integration und Perspektiven

Die freie Kulturszene erhalten

Verantwortung für kommunale Finanzen und die Stadtgesellschaft

Es gilt das gesprochene Wort sowie das freigegebene Manuskript.

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Frau Erste Bürgermeisterin,

liebe Kolleg*innen, liebe Karlsruher*innen,

dieser Haushalt hat es in sich. Mit rund 1,7 Milliarden Euro ist er der umfangreichste Haushalt der Stadt Karlsruhe und gleichzeitig das Ergebnis eines harten Prozesses, um Einsparungen in einer Höhe von 100 Millionen Euro zu erreichen. Daher möchten wir den Mitarbeitenden der Verwaltung unseren Dank aussprechen. Es war sicher alles andere als einfach, in den eigenen Arbeitsbereichen zu entscheiden, an welcher Stelle eine Einsparung am wenigsten weh tut. Auch möchten wir Ihnen, Herr Oberbürgermeister erneut für die transparente und frühzeitige Kommunikation des notwendigen Sparkurses danken.

Aber trotz der nicht zu vermeidenden Sparmaßnahmen wollen wir GRÜNE auch in diesem Haushalt an den notwendigen Stellschrauben drehen. Daher hatte ich schon vor einigen Monaten angekündigt, dass wir selbstverständlich Anträge zum Doppelhaushalt stellen werden. Denn am Ende ist die zentrale Aufgabe des Gemeinderats, Schwerpunkte zu setzen, den Haushalt zu gestalten und zu beschließen.

Unsere Lebensgrundlagen erhalten

Die Herausforderungen warten nicht und nehmen auch keine Rücksicht auf unsere finanzielle Lage. Sechs von neun planetaren Grenzen sind überschritten: Es befinden sich zu viele neuartige Substanzen wie Mikroplastik in der Umwelt; die genetische Vielfalt – die Biodiversität ist massiv bedroht; natürliche Stoffkreisläufe sind durcheinander, zum Beispiel durch übermäßige Düngung; die Landnutzung beziehungsweise der Flächenverbrauch ist zu groß; wir verbrauchen zu viel Wasser und der Klimawandel schreitet voran. Wir stehen Stand heute weltweit bei 1,4 Grad Erderwärmung – für Karlsruhe bedeutet das bereits heute 2,5 Grad Erwärmung. Bis zu den Grenzen des Pariser Abkommens ist nicht mehr viel Luft.

Wir als Menschheit arbeiten aktuell konsequent daran, unsere Lebensgrundlage zu zerstören. Da müssen wir gegensteuern, auf jeder Ebene. Jede der globalen Belastbarkeitsgrenzen hat ihre Ursachen in unserem Handeln vor Ort. Auch in Karlsruhe.

Nur wenn alle ihren Anteil leisten, haben wir die Chance, unseren Planeten widerstandsfähig und bewohnbar zu halten. Und das sollten wir, denn wir haben nur den einen Planeten. Auch wenn unser Anteil in Karlsruhe winzig ist im globalen Vergleich, wenn wir uns nicht anstrengen, fehlt ein Puzzleteil im Ganzen. Dieser Haushalt ist ein solches Puzzleteil; wir Grüne wollen unsere Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen ernst nehmen.

Keine Kürzungen im Klimaschutzbudget

Wir haben uns als Grüne in dieser Ratsperiode für den Beschluss des Klimaschutzkonzeptes und die Nachschärfung der Ziele eingesetzt. Ebenso haben wir erreicht, dass das Klimaschutzkonzept im vergangenen Doppelhaushalt erstmals ausfinanziert wurde, mit 40 Millionen Euro pro Jahr. Dieser Mittelansatz war nach der ersten Runde der Haushaltssicherung zunächst auch für beide Jahre vorgesehen.

Mit dem zweiten Sparpaket für diesen Haushalt sollen nun doch fast 700.000 Euro in jedem Jahr gestrichen werden. Das werden wir so nicht akzeptieren. Vor wenigen Tagen wurde der Entwurf des Energieleitplans vorgestellt. Dieser enthält Aussagen darüber, wo welche klimaneutrale Wärmeversorgung möglich ist. Es fehlen jedoch Aussagen über das Wann. Der Energieleitplan muss in diesem Jahr beschlossen werden und das ist auch wichtig, damit die Bürger*innen unter anderem frühzeitig erfahren, welche Wärmeversorgung für welche Stadtquartiere geeignet ist.

Allerdings sehen wir auch, dass eine kontinuierliche Weiterentwicklung und eine Beschleunigung vor allem der Fernwärmeplanung notwendig sind. Das ist eine kontinuierliche Aufgabe. Dafür werden die Gelder des Klimaschutzkonzepts in den nächsten Doppelhaushalten benötigt.

Wir sehen noch einen weiteren Bedarf beim Klimaschutz: Die klimaneutrale Verwaltung bis zum Jahr 2040. Hinter diesem Satzsteht eine Riesenaufgabe.

Ein wesentlicher Bestandteil davon ist die Sanierung der städtischen Gebäude, die Umstellung der Energieversorgung der Gebäude und damit eine Reduktion der CO2-Emissionen aus Wärme und Strom auf nahezu null. Diese Sanierungen haben weitere positive Effekte, einen Kollateralnutzen. Wir senken den Energieverbrauch und gleichzeitig die Betriebskosten der Gebäude und wir verbessern die Bedingungen für die Nutzer*innen. Auch wenn es sich bei einer kleinen Maßnahme vielleicht nur um den Austausch von Fenstern handelt.

Das Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft hat dem Gemeinderat einen Fahrplan vorgelegt, um dieses Ziel zu erreichen. Für diesen Fahrplan werden weitere Personalstellen benötigt, um jetzt die Planungen zu beschleunigen und um externe Vergaben von Planungsaufgaben und Kosten zu reduzieren.

Klimaanpassung als neue Herausforderung annehmen

Erstmals ist im Klimaschutz-Budget auch ein Ansatz für Maßnahmen zur Klimaanpassung vorgesehen. Das sind jeweils zwei Millionen Euro pro Jahr und damit nur ein Anfang. Die Klimakrise schreitet mit einer Geschwindigkeit voran, die es uns nicht erlaubt, mit der Klimaanpassung zu warten. In Karlsruhe erleben wir schon heute deutlich mehr Hitzetage als in der Vergangenheit. Im Durchschnitt waren es in den letzten zehn Jahren mehr als 20 Hitzetage pro Jahr, mehr als doppelt so viele wie ein halbes Jahrhundert zuvor.

Hitzetage sind nicht einfach schöne Sommertage. 36 Grad im Juli dieses Jahres, 37 Grad im Jahr zuvor. Das sind Temperaturen, bei denen ein Aufenthalt im Freien unerträglich bis gefährlich wird. Wir haben mit der Klimaanpassungsstrategie gute konzeptionelle Ansätze und erarbeiten gerade mit dem Plan°C einen Hitzeaktionsplan. Das dürfen aber nicht nur Konzepte bleiben. Daher wollen wir mit zwei Anträgen für eine schnellere Umsetzung der Klimaanpassungsmaßnahmen sorgen.

Wir Grüne wollen, dass für das Trinkbrunnenkonzept jedes Jahr zusätzlich 100.000 Euro zur Verfügung stehen. Ebenso wollen wir im Jahr 2024 das Budget für ein Entsiegelungskonzept zur Verfügung stellen, ab dem Jahr 2025 soll dieses dann umgesetzt werden. Entsiegelung und mehr Grünflächen statt Asphalt und Beton müssen damit endlich Anlass genug sein für eine Umbaumaßnahme. Das sollte nicht nur bei einer Straßenbaumaßnahme mitgedacht werden, wenn wir Glück haben.

Es geht nicht nur um neues Stadtgrün. Der Baumbestand in der Stadt und im Wald steht unter Stress, Hitzestress. Krankheiten, spontane Brüche der Äste sind die Folge. Die Bäume müssen häufiger kontrolliert und bewässert werden. Dafür brauchen das Forstamt und das Gartenbauamt personelle und materielle Unterstützung. Das sind wesentliche Aufgaben, um den Baumbestand und die Menschen in dieser Stadt zu schützen.

Unser Wald leidet. Glücklicherweise haben wir in diesem Sommer im Vergleich zum Jahr 2022 keine hohe Zahl an Waldbränden erlebt. Dennoch sind Wald- und Buschbrände eine Gefahr, die durch die fortschreitende Klimakatastrophe häufiger werden. Eine gute Klimaanpassung fordert also eine Stärkung des Bevölkerungsschutzes. In diesem Doppelhaushalt wollen wir die Integrierte Leitstelle für den Stadt- und Landkreis endlich personell besser ausstatten. Seit 2021 ist bekannt, dass dort im Verantwortungsbereich der Stadt zwei weitere Stellen benötigt werden. Der Landkreis und das Deutsche Rote Kreuz haben ihre jeweiligen Stellen bereits besetzt. Die Stadt kann ihr Personalkontingent derzeit nur durch die Anordnung von Überstunden abdecken.

Die Waldbrandgefahr ist nur ein plakatives Beispiel. Es geht grundsätzlich um eine Stärkung von Rettungsdiensten und Feuerwehr zum Wohle unserer Bevölkerung. Für unsere Sicherheit und bessere Arbeitsbedingungen in der Integrierten Leitstelle halten ist eine ausreichende personelle Versorgung in der ILS unabdingbar.

Wir Grüne sehen im Bereich der Klimaanpassung im Gegensatz zum Klimaschutzbudget noch erheblichen Bedarf. Wir verstehen den Haushaltsentwurf und unsere Anträge dazu als Auftakt. In den nächsten Jahren kommt noch einiges auf uns zu. Die Klimakrise wartet nicht.

Biodiversität schützen und vermitteln

Und auch die biologische Vielfalt wartet nicht, sie wird weniger. Verlorene Arten kommen so schnell nicht wieder. Das mag für manche im ersten Moment gar nicht so schlimm klingen. Ein paar Insekten weniger ist doch ganz schön, endlich weniger von diesem nervigen Ungeziefer.

Das ist ein Trugschluss. Wenn biosphärische Kreisläufe zerstört werden, schlägt das beispielsweise auf die Landwirtschaft durch. Ohne bestäubende Insekten keine Lebensmittel. Das ist nur ein einfaches Beispiel für sehr große und komplexe Zusammenhänge.

Genau deswegen haben wir als Stadt ein Biodiversitätskonzept. Eine Maßnahme daraus ist es, die Biotope geschützter Arten im Stadtgebiet zu dokumentieren. Nur wenn wir wissen, welche Arten wo leben, können wir diese zukünftig auch schützen. Daher wollen wir endlich die Stadtbiotopkartierung ermöglichen. Dafür wird nur ein geringer Betrag von 18.000 Euro benötigt, aber dieser ist bisher von der Verwaltung nicht eingeplant.

Darüber hinaus wollen wir Grüne die Umweltbildung stärken. Diese ist aus unserer Sicht ein einfacher, kostengünstiger und nachhaltiger Beitrag für den Schutz unserer Umwelt. Wir wollen in diesem Sinne die Biodiversität auf Schulhöfen oder in Schulgärten stärken. Jährlich sollen sechs Schulen ein Startkapital für niederschwellige Aktionen zur Förderung der Biodiversität auf dem Schulhof erhalten: Beispielsweise für eine Trockenmauer, für Fassadenbegrünung, für einen Totholzhaufen oder Steinhaufen für Reptilien oder für ein Hochbeet.

Zur Umweltbildung gehört selbstverständlich auch die Waldpädagogik. Hier hat die Verwaltung die Mittel halbiert und damit weniger Schulklassen eine intensivere Beschäftigung mit unserem Wald ermöglicht. Diesen Kürzungsvorschlag werden wir ablehnen, weil mit der Streichung eines geringen Betrags nachhaltig großer Schaden angerichtet werden könnte.

Nachhaltige Mobilität bringt Lebensqualität

Klimaschutz, Klimaanpassung sowie Natur- und Umweltschutz. Das sind die Kernthemen für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen. Daher sind diese Ziele für uns Grüne auch in der Mobilität das Fundament. Jede verkehrspolitische Veränderung muss den Ressourcen- und Energieverbrauch reduzieren. Im gleichen Zuge wollen wir eine Verbesserung der Lebensqualität und der Aufenthaltsqualität in Karlsruhe erreichen.

Ein Aspekt, auf den wir im Zusammenhang mit dem Wunsch nach höherer Lebensqualität immer wieder angesprochen werden, ist die Verkehrsüberwachung. Das ist auch im ADFC-Fahrradklimatest als ein Defizit mit enormen Nachholpotenzial identifiziert worden. Daher wollen wir die Verkehrsüberwachung stärken, am einfachsten geht das mit Geschwindigkeitskontrollen.

Überhöhte Geschwindigkeit führt zu mehr Verkehrsunfällen und schwereren Auswirkungen von Verkehrsunfällen. Überhöhte Geschwindigkeit geht in der Regel mit mehr Lärm einher. Und Lärm mindert die Lebensqualität aller, im schlimmsten Fall macht Lärm dauerhaft krank. Daher wollen wir, dass die Stadt im Jahr 2024 und 2025 jeweils einen mobilen Blitzer-Anhänger beschafft. Diese Anhänger können nahezu überall aufgestellt werden und sind deutlich weniger personalintensiv als andere Kontrollen.

Wir und auch die Verwaltung werden regelmäßig von den Bürger*innen darauf angesprochen, dass bei Ihnen im Wohngebiet oder vor der Schule ihrer Kinder bitte häufiger kontrolliert werden sollte. Die Beschwerden über laute Autoposer in der Innenstadt werden Sie auch alle kennen. Es sind einige Straßenzüge, in denen häufiger kontrolliert werden müsste. Die personelle und technische Ausstattung reicht allerdings nicht aus, um dem Bedarf zu entsprechen. Das Schöne bei diesem Antrag ist: Diese Blitzer-Anhänger tragen sich finanziell selbst. Und wenn wir sie irgendwann nicht mehr brauchen sollten, haben wir ein großes Stück Lebensqualität in unserer Stadt zurückgewonnen.

Bei weiteren Mobilitätsthemen merken wir immer wieder, dass die Kapazitäten nicht ausreichen, um die eigenen Ambitionen zu erfüllen. Und damit meine ich nicht unsere grünen Ambitionen, sondern ganz grundlegend den Anspruch, die vom Gemeinderat beschlossenen Projekte zügig voranzubringen. Daher wollen wir exemplarisch das IQ-Leitprojekt zum Parkraummanagement voranbringen. Das ist eine stadtweite Aufgabe, die in ihrer Konzeptionierung und der darauffolgenden Umsetzung verstärkt werden muss. Gerade in der ganz aktuellen Diskussion über die westliche Kriegsstraße ist dies wieder offenbar geworden.

Zudem wollen wir die Kommunikation der Mobilitätsthemen und die Werbung für den Umweltverbund stärken. In der aktuellen Diskussion rund um den Fuß- und Radentscheid oder das Programm für Aktive Mobilität steht immer wieder die Aussage im Raum, dass einfach nicht ausreichend bekannt sei, was Karlsruhe alles schon macht. Ebenso sieht die Situation bei der Bewertung des ADFC-Fahrradklimatests aus. Hier besteht also Handlungsbedarf.

Diesen Handlungsbedarf haben durch den Fuß- und Radentscheid auch über 17.000 Menschen an den Gemeinderat adressiert. Denn der Fuß- und Radentscheid adressiert eine Lücke, die das Programm für Aktive Mobilität lässt. Mit dem Programm für Aktive Mobilität haben wir als Gemeinderat vor allem qualitative Grundsätze beschlossen.

Der Fuß- und Radentscheid ergänzt diese durch quantitative, zählbare Ziele. Es geht dabei nicht nur um das maximale Tempo, sondern vor allem auch darum sich klare Ziele zu setzen, deren Umsetzungsgrad einfach gemessen werden kann. Wir Grüne möchten an dieser Stelle die Verwaltung noch einmal dazu ermutigen, die Gespräche mit den Vertreter*innen des Bürgerbegehrens zu führen und einen Vorschlag für einen Kompromiss vorzulegen. Herr Oberbürgermeister, Sie haben den November als Ziel genannt. Ich hoffe, dass Sie das schaffen, und setze darauf, dass wir dann einen guten Ersatzbeschluss fassen können.

Ältere Menschen zuhause unterstützen

Handlungsbedarf haben wir in der Vergangenheit ebenso im Sozialen festgestellt. Konkreter in der frühzeitigen Information sowie in der Unterstützung und Versorgung älterer Menschen. Ich möchte dazu zwei Ansätze nennen, die gleichzeitig verschiedene Ziele erreichen: Die Innovative Pflege und die präventiven Hausbesuche. Diese Ansätze haben wir initiiert und wollen sie in Zukunft weiterverfolgen.

Warum erreichen wir mit solchen neuen Ansätzen mehrere Ziele gleichzeitig? Bei beiden Ansätzen geht es darum, dass ältere Menschen so lange wie möglich selbstständig und in ihrer eigenen Wohnung bleiben können. Beide Konzepte zeichnen sich durch Respekt und Ernstnehmen der älteren Generation aus und sie helfen der jüngeren Generation, ihre Berufstätigkeit und die Unterstützung ihrer Angehörigen besser vereinbaren zu können. Außerdem wird deutlich, dass durch diese Ansätze die Kosten der Stadt für die stationäre Pflege sinken werden. Solche neuen Ansätze in der Pflege verbessern ebenso die Situation in diesem Beruf und tragen dazu bei, durch attraktivere Arbeitsbedingungen mehr Pflegekräfte gewinnen zu können.

Das Projekt Präventive Hausbesuche, bei uns Karlsruher Hausbesuche genannt, wird nach längeren Vorbereitungen seit Ende 2022 durchgeführt. Dieses Projekt bietet Senior*innen eine freiwillige Beratung zum 75. oder 80. Geburtstag, um etwa über Einkaufshilfen, Treppenlifte und andere kleinere Dinge zu informieren und so eine Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Die präventiven Hausbesuche sollen aktuell Ende dieses Jahres beendet werden. Bis dahin ist keine Bewertung und Entscheidung über eine Weiterführung in Zukunft möglich. Daher wollen wir das Projekt bis zu einer grundsätzlichen Evaluation im nächsten Jahr verlängern. Dann können wir entscheiden, ob und in welcher Ausprägung die Karlsruher Hausbesuche weitergeführt werden.

Ähnliches gilt für die Innovative Pflege nach dem niederländischen Modell Buurtzorg [Bürtzorch] – zu Deutsch Nachbarschaftspflege. Ambulante Pflege, Bewegungsangebote im Quartier sowie die Einbindung von Nachbar*innen oder Angehörigen ermöglichen eine größere Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen. Die Verwaltung hat dieses Konzept begonnen und hat erste sehr positive Erkenntnisse sammeln können, wie sich dieser neue Ansatz auswirkt. So gelingt es auch hier erfreulicherweise, für diese Form der Pflege viel mehr Pflegefachkräfte zu gewinnen.

Allerdings haben keine begleitende Evaluation und Datenerhebung stattgefunden. Diese ist in den kommenden Jahren strukturiert durchzuführen. Wir gehen davon aus, dass auch hier gesamtgesellschaftlich Kosten eingespart werden und ältere Menschen länger selbstbestimmt leben können.

Zum selbstbestimmten Leben gehört auch eine sichere und bezahlbare Wohnung. Diese Aufgabe erfüllt seit über 100 Jahren unsere Volkwohnung. Die Verwaltung hat in ihrem Haushaltsentwurf vorgeschlagen, die Volkswohnung zu schwächen und zu einer Gewinnausschüttung von je 3,5 Millionen Euro in den Jahren 2024 und 2025 aufzufordern. Wir lehnen diesen Vorschlag ab. Die Volkswohnung benötigt die erwirtschafteten Mittel für den Bau neuer Wohnungen. Eine Entnahme aus den Gewinnen würde mittelbar das Wohnen für die Mieter*innen der Volkswohnung verteuern. Einen solchen Sonderbeitrag der Mieter*innen zur Stützung des Haushalts lehnen wir auch deshalb ab, weil wir es für ein vollkommen falsches Signal in der Sozialpolitik halten.

Kinderbetreuung fair finanzieren

Wir haben in dieser Ratsperiode gemeinsam einiges erreicht, vor allem um die sogenannten „Working poor“ zu unterstützen. Diejenigen Menschen, denen trotz Arbeit nicht genug Geld für ein Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe bleibt. Unsere Karlsruher Pässe und Kinderpässe sind ein wichtiges Instrument für diese Bevölkerungsgruppe. Insbesondere weil damit auch Menschen unterstützt werden, deren Einkommen geringfügig über der Bedarfsgrenze für Sozialleistungen liegt.

Es ist eine kontinuierliche Aufgabe für uns alle, dass den Berechtigten diese Angebote bekannter werden. Sodass Menschen mit geringerem Einkommen beispielsweise die Erstattung beziehungsweise Ermäßigung der KiTa-Beiträge in Anspruch nehmen.

Denn frühkindliche Bildung ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Start ins Leben, für Integration und spätere Teilhabe an der Gesellschaft. Kein Standortfaktor ist für Familien von größerer Bedeutung als ein vielfältiges, verlässliches und bezahlbares Bildungs- und Betreuungsangebot. Obwohl wir in Karlsruhe viel in diesen Bereich investieren und uns auf den Weg gemacht haben, für gerechte Elternbeiträge zu sorgen, müssen wir ehrlich eingestehen, dass die bisherige städtische Kita-Finanzierung an ihre Grenzen kommt.

Wir Grüne halten es mit Blick auf die Haushaltssicherungsmaßnahmen für unverhältnismäßig, die volle Last der Einsparungen im Bereich der Kitas den Eltern in Karlsruhe aufzubürden. Und zwar so lange wie wir gemeinsam als Politik und Verwaltung nicht in der Lage sind, für ausreichend Kitaplätze, eine solide Personaldecke und damit eine tatsächliche Wahlfreiheit der KiTa sowie gerecht verteilte Gebühren zu sorgen.

Deshalb setzen wir uns wie auch schon in den vergangenen Jahren dafür ein, die geplanten massiven Beitragssteigerungen deutlich zu entschärfen. Zeitgleich sind wir als Grüne bereit, bei der Kitafinanzierung grundsätzlich neue Wege zu gehen, um mehr Gerechtigkeit für die Familien in Karlsruhe herzustellen. Hier muss dringend nachjustiert werden. Das lässt sich nicht sofort in diesem Doppelhaushalt lösen, dennoch müssen wir diese Diskussion jetzt beginnen.

Istanbul-Konvention als Pflichtaufgabe verstehen

Wir sind stolz, dass Karlsruhe die Umsetzung der Istanbul Konvention, des völkerrechtlichen Vertrags zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, so ernsthaft und vorbildlich vorantreibt. Diesen Weg wollen wir Grüne weiterverfolgen, die Konzept-Weiterentwicklung sicherstellen und eine Koordinierungsstelle vor Ort aufbauen. Damit sind wir Grüne nicht allein, fraktionsübergreifend sind wir uns da in weiten Teilen einig. Wir haben uns in einem interfraktionellen Antrag zu Beginn dieser Ratsperiode darauf verständigt, dass in diesem Bereich nicht gekürzt wird, auch nicht, wenn es um sogenannte freiwillige Leistungen geht.

Aktuell ist diese Stelle für die Umsetzung der Istanbul Konvention im Büro der Gleichstellungsbeauftragten eine befristete Projektstelle, bei der die Stadtverwaltung den Rotstift ansetzen will. Wir wollen diese Stelle nicht auslaufen lassen, wir wollen sie dauerhaft. Denn Gewalt gegen Frauen hat hier in Karlsruhe keinen Platz, Gewalt gegen Frauen darf nirgendwo Platz haben.

Gesellschaftliche Vielfalt fördern

Was Platz hat, ist unsere gesellschaftliche Vielfalt. Das ist kein romantisches Schönreden, sondern einfach Realität. In Karlsruhe leben Menschen verschiedenster Nationalitäten, Religionen, mit unterschiedlichster sexueller und geschlechtlicher Identität. Diese Vielfalt ist da und sie ist durch unser Grundgesetz geschützt.

Bisher gibt es in Karlsruhe mit dem La Vie ein queeres Jugendzentrum. Wir freuen uns, dass es diesen Ort als Schutzraum und als Ort für den Austausch gibt. Das hat nicht jede Stadt! Wir wollen aber, dass es auch einen vergleichbaren Raum für Erwachsene in Karlsruhe gibt. QueerKAstle versteht sich als Zentrum für queere Vielfalt in Karlsruhe. Doch noch ist es ein Zentrum ohne Raum. Wir wollen, dass die Stadt das Zentrum fördert, sodass ein physischer Raum, ein physisches Zentrum entstehen kann.

Darüber hinaus wollen wir als Grüne auch gesellschaftliche Initiativen und Veranstaltungen unterstützen, die sich für die Vielfalt in dieser Stadt einsetzen. Wir wollen allerdings hierfür nicht einzelne Vereine wie Pride Pictures oder den CSD-Verein per Haushaltsbeschluss unterstützen und dann in den Haushaltsberatungen wiederkehrend über einzelne, kleinste Anpassungen diskutieren, wie das in anderen Fachbereichen oft der Fall ist. Daher stellen wir uns einen Fonds zur Förderung der Sichtbarkeit und Stärkung der queeren Vielfalt vor, aus dem das Kulturamt dann einzelne Initiativen unterstützen kann.

In der Karlsruher Jugendkonferenz wurde im März der Wunsch einer Regenbogenstraße eingebracht. Diese soll im Kontext des Projekts „MyCity.MyPlace“ umgesetzt werden. In diesem Projekt sollen Jugendliche selbstwirksam und aktiv die Stadt, in der sie leben, weiterentwickeln. Dieses Projekt ist Teil unserer IQ-Leitprojekts Innenstadtentwicklung. Wir Grüne wollen, dass dieser Wunsch der Jugendlichen umgesetzt wird und dass somit aus der Beteiligung handfeste Resultate folgen.

Willkommensstruktur ermöglicht Integration und Perspektiven

„MyCity.MyPlace“ – da könnte man auch an Abgrenzung und Abkapselung denken. Gerade wenn man in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte die lauter werdenden Rufe nach Grenzkontrollen vernimmt, die Pushbacks auf dem Mittelmeer registriert und beobachtet, wie Europa Kooperationen mit Staaten anstrebt, in denen Demokratie und Menschenrechte einen geringen Stellenwert haben. Doch das ist das Gegenteil von Solidarität. Das ist nicht das Europa, in dem wir leben wollen. Das ist auch nicht das Selbstverständnis der Stadt Karlsruhe.

Wir Grüne stehen für ein weltoffene Gesellschaft und wollen keine Trennung in ein „Wir“ und „Die Anderen“, wir wollen allen Menschen in Karlsruhe eine lebenswerte Zukunft ermöglichen.

Es ist klar, dass wir mit einem kommunalen Haushalt keine europäische Migrations- und Außenpolitik machen. Aber die Integration, die ist unsere Aufgabe vor Ort. Wichtig für gelingende Integration ist, Zugewanderten, insbesondere Geflüchteten, gleichberechtigte soziale und berufliche Teilhabe zu ermöglichen – so früh wie möglich und unabhängig vom Herkunftsland. Um das zu erreichen, wollen – müssen – wir die Ausländerbehörde zu einer Willkommensbehörde weiterentwickeln. Die gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsaufgaben haben sich quantitativ und qualitativ stark verändert und sind intensiver geworden.

Wir wollen eine spürbare Verstärkung schaffen, und zwar durch eine Clearingfunktion. Diese Clearingstelle kann die Beratungsaufgaben insbesondere in komplizierten Fällen deutlich besser und bedarfsorientierter durchführen.

In diesem Zusammenhang wollen wir das Projekt „Perspektive Ausbildung“ zu einer dauerhaften Aufgabe machen. In Zeiten des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels ist das eine Win-Win-Lösung. Durch berufliche Perspektiven erleichtern wir die Integration von Geflüchteten und können zugleich Ausbildungs- und Arbeitsplätze bei der Stadt besetzen.

Ausbildung ist ein Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft. Doch gerade in einer sich immer schneller entwickelnden Welt sind auch Weiterbildung und lebenslanges Lernen nicht zu vernachlässigen. Eine wichtige Institution für Weiterbildung, Integration und gesellschaftlichen Austausch ist die Karlsruher Volkshochschule.

Wir Grüne standen zu jeder Zeit hinter unserer Volkshochschule und werden diese Einrichtung von unschätzbarem Wert für unsere städtische Bildungslandschaft auch in Zukunft unterstützen.

Uns irritiert, dass die Stadtverwaltung diesen offensichtlichen Wert zum wiederholten Male offenbar nicht erkannt hat. Um die dauerhafte Stabilität unserer VHS zu gewährleisten, müssen wir den städtischen Mietkostenzuschuss weiterhin in voller Höhe von 700.000 Euro gewähren und diesen in künftigen Haushalten berücksichtigen. Wenn wir das nicht beschließen, dann können wir uns von der VHS in ihrer bisherigen Ausrichtung verabschieden. Ist das wirklich in Ihrem Sinne?

Die freie Kulturszene erhalten

Ich möchte nun noch zu einer großen, freiwilligen Aufgabe kommen. Die Förderung der Kultur. Ja, das ist formal freiwillig, doch wir sind nahezu alle einig, dass wir die kommunale Kulturförderung eigentlich als unsere ideelle Pflicht und Verantwortung ansehen.

Kultur bereichert, eckt an, Kultur entspannt und macht Freude. Aber vor allem bringt sie die Menschen in unserer Stadt zusammen und ist somit entscheidend für die soziale Teilhabe aller Menschen. Viele Kultureinrichtungen und ganz prominent der Kulturring als deren Vertreter haben uns allen deutlich gemacht, in welch schwieriger Situation sich die verschiedenen Institutionen befinden.

Wir wollen die kulturelle Vielfalt in unserer Stadt erhalten. Die vorgeschlagenen Kürzungen im Kulturhaushalt treffen vor allem die freien Kultureinrichtungen sehr hart. Die Forderungen des Kulturrings können wir nachvollziehen. Wir wollen die bestehende Situation, die für viele Einrichtungen noch immer sehr belastend ist, nicht noch weiter verschärfen.

Daher beantragen wir, dass die pauschale Zuschusskürzungen um 1,5% bei den Einrichtungen der freien Kultur zurückgenommen werden. Ebenso wollen wir verhindern, dass durch Einsparungen oder durch immer weiter steigende Kosten einzelne freie Kultureinrichtungen nicht mehr weiter machen können. Hier wollen wir mit einem Nothilfefonds das Kulturamt in die Lage versetzen, diejenigen Einrichtungen zu stützen, deren Existenz bedroht ist.

Die Einsparungen bei den großen Institutionen, die das auffangen können und in solchen Zeiten auch sollten, wie zum Beispiel das Staatstheater und das ZKM, diese können wir hingegen mittragen.

Einen Fall müssen wir hier explizit herausgreifen: Das neue P8, die Kulturdose, getragen vom Panorama e.V., wird nicht weiter existieren können, wenn wir die institutionellen Zuschüsse nicht deutlich erhöhen. Herr Oberbürgermeister, im Dezember 2021 haben Sie in den Haushaltsberatungen angekündigt, dass wir für kommende Haushalte die Finanzierung dieses Kulturzentrums klären müssen. Diese Beratungen sind bis heute ausgeblieben, daher müssen wir den Fortbestand per Haushaltsantrag einfordern.

In allen Haushaltsberatungen ist es aber wieder dasselbe Spiel, dass wir hier teilweise über Kleinstbeträge entscheiden müssen. Daher haben wir bereits 2021 gemeinsam mit den Fraktionen der SPD und der Linken gefordert, ein Konzept für die Dynamisierung der Zuschüsse an Kultureinrichtungen zu erarbeiten. Dies wurde grundsätzlich befürwortet, dennoch liegt bis heute noch kein Konzept auf dem Tisch. Daher haben wir nun erneut den Antrag eingebracht, damit wir endlich ein klares positives Signal an alle geförderten Kultureinrichtungen geben können: Unser Ziel ist es, im nächsten Haushalt endlich die Dynamisierung für die freien Kultureinrichtungen zu erreichen.

Verantwortung für kommunale Finanzen und die Stadtgesellschaft

Ich befürchte, dass einige schon wieder den Kopf schütteln und denken, wir GRÜNEN hätten das mit dem Sparen nicht verstanden. Denjenigen möchte ich gerne entgegen, dass Sie vielleicht nicht verstehen, was verantwortungsvolle Kommunalpolitik bedeutet. Denn zur Verantwortung gehört nicht nur der Blick aufs Konto. Zur Verantwortung gehört, dass wir uns für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzen, dass wir das gesellschaftliche Zusammenleben stärken, dass wir die Vielfalt der Menschen und ihrer Lebensentwürfe sichtbar machen, und dass wir die Vielfalt des kulturellen Lebens in dieser Stadt erhalten.

Aber wagen wir dennoch den Blick auf den Gesamthaushalt. Das, was wir als Fraktion beantragen, das bewegt sich im Promillebereich des Haushalts und ist weit geringer als die Unsicherheiten, die in einem Haushaltsentwurf in dieser Größenordnung stecken.

Wir machen dies in einer Gesamtbetrachtung der wirklich drängendsten Themen. Wir haben viele Anliegen, die uns am Herzen liegen, nicht in dem Maße berücksichtigen können, wie wir uns das gewünscht hätten. Und wir als Grünen-Fraktion haben im März nicht zugestimmt, als im Vorgriff auf die Haushaltsberatungen einfach so beschlossen wurde, die Wertstofftonne beizubehalten – zu Mehrkosten in von rund drei Millionen Euro.

Ob dieser Beschluss einer verantwortungsvollen Finanzpolitik entspricht, stellen wir erneut in Frage. Das können Sie auch gerne nach mir beantworten.

In diesem Zuge sollten wir uns auch daran erinnern, welche Großprojekte unseren Haushalt jetzt und in den kommenden Jahren in Millionenhöhe belasten: Dazu gehören unter anderem das Stadion im Wildpark und die Kombilösung, die jetzt voll zu Buche schlagen. Diesen immensen Investitionen haben wir nicht zugestimmt, weil wir die Folgekosten abgesehen haben.

Im aktuellen Doppelhaushalt war und ist die Beschränkung der städtischen Investitionen der massivste Eingriff seitens des Regierungspräsidiums. Dadurch werden die Sanierungen oder die Neubauten von Schulen, Kitas oder Sportstätten verzögert, teilweise auf sehr ungewisse Zukunft. Ob diese Beschränkung wieder in gleicher oder veränderter Form auferlegt wird, das wissen wir nicht. Wir können es nur vermuten.

Mit Blick auf die Zukunft sind sicherlich einige strukturelle Veränderungen notwendig. Damit meine ich jetzt keine public private partnerships, in denen wir dann in Zukunft unsere Infrastrukturen zurückmieten müssten. Damit sind in der Vergangenheit einige Kommunen auf die Nase gefallen. Dennoch sollten diejenigen Investitionen und Bauvorhaben neu betrachtet werden, die durch Gebühren, Mieteinnahmen oder andere Einkünfte refinanziert werden. In anderen Kommunen sind Aufgaben wir die Stadtentwässerung oder der Bau und die Verwaltung von Sportstätten in Eigenbetrieben organisiert.

In sechs Wochen ist es dann so weit, dass wir hier wieder zusammenkommen, um final über den Haushalt zu entscheiden. Ich wünsche uns viel Geduld und Durchhaltevermögen, konstruktive und verständnisvolle Beratungen, auch wenn das sicher unter den aktuellen Vorzeichen alles andere als ein Selbstläufer wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Verwandte Artikel