Versammlungsklima in der Stadt des Rechts Karlsruhe

Gemeinsame Anfrage mit den LINKEN :

Anfrage:

  1. Nach welchen Grundsätzen und Beurteilungsmaßstäben nimmt die Stadt Karlsruhe Einfluss auf die Durchführung von Versammlungen; welche Entscheidungsspielräume bestehen und wie werden diese genutzt?
  2. In wiefern verfolgte die Stadtverwaltung die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg (AZ:1 S2901/10), in der es um die Rechtmäßigkeit von Auflagen bei Versammlungen ging? Wie begründet die Stadtverwaltung, dass anlässlich der angemeldeten friedlichen Kundgebung von Atomkraftgegnern am 12. 2. auf dem Karlsru-her Marktplatz ähnlich strittige Auflagen gemacht wurden? Welche Konsequenzen zieht die Stadt Karlsruhe aus der Mannheimer Entscheidung?
  3. Hat sich die durchschnittliche Anzahl und die Art der Auflagen für Versammlungen unter freiem Himmel, die bei den zuständigen Behörden in Karlsruhe angemeldet wurden, seit 2006 verändert, und wenn ja, wie und warum?
  4. Wie beurteilt die Stadt Karlsruhe die Beschwerden von AnmelderInnen von Versammlungen unter freiem Himmel über eine deutliche Zunahme von Auflagen und welche Maßnahmen wurden durch die Stadtverwaltung ergriffen, um Hemmschwellen zur Wahrnehmung des Grundrechtes auf Ver-sammlungsfreiheit abzubauen?
  5. Aus welchen Gründen verlangt die Stadtverwaltung bei der Anmeldung einer Kundgebung in der Regel ein Kooperationsgespräch, obwohl früher in der Regel eine schriftliche Anmeldung ausreichte?
  6. Inwiefern versucht die Stadtverwaltung bei Besprechungen mit AnmelderInnen von Versammlungen ein Klima auf Augenhöhe (Gleichwertigkeit der Partner) zu erreichen und in welcher Form findet eine Evaluation statt?
  7. Wie beurteilt die Stadt Karlsruhe die Tatsache, dass das Verwaltungsgericht im letzten Jahr mehrfach anlassunabhängige Platzverweise, die bei Versammlungen in Karlsruhe durch Beamte der Landespolizei ausgesprochen wurden, für unzulässig erklärt hat? (AZ 3 K 2326/09, 3 K 2356/09, 3 K 2444/09; Urteile vom 28.06.2010)
  8. Ist der Stadt Karlsruhe bekannt bzw. gibt es Beschwerden darüber, dass die Polizei oft eine ganze Versammlung entgegen § 19a in Verbindung mit § 12a des Versammlungsgesetzes und entgegen der ständigen Rechtsprechung (zuletzt VG Berlin, Urteil vom 05.07.2010 – AZ.: 1 K 905.09 mwN) ohne jeden Anlass abfilmt und falls ja: Wie beurteilt die Stadt Karlsruhe dieses Vorgehen?
  9. Hat die Stadt Karlsruhe Kenntnis davon, dass es für Bürgerinitiativen zunehmend schwieriger wird, OrdnerInnen und AnmelderInnen für Versammlungen zu finden? Wenn ja: Inwiefern könnte dies mit zunehmend umfang-reichen Auflagenverfügungen zusammenhängen und was unternimmt die Stadt Karlsruhe, um dem entgegenzuwirken?
  10. Wie beurteilt die Stadt Karlsruhe, dass gegen Personen anlässlich einer Protestaktion „Nachttanzblockade“ Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen eine Allgemeinverfügung eingeleitet wurden, obwohl eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit der Allgemeinver-fügung (AZ 3 K 1817/11) noch aussteht? Wie beurteilt die Stadt Karlsruhe im Nachhinein die Allgemeinverfügung mit einem vollständigen Versammlungsverbot über 48 Stunden auf einem breiten Streifen quer durch Karlsruhe (incl. dem Bahnhofsvorplatz) in Hinblick auf ihre Einschränkungswirkung auf die Versammlungsfreiheit?
  11. Wie beurteilt die Stadt Karlsruhe die Tatsache, dass ca. 300 VersammlungsteilnehmerInnen in einem mit Bauzäunen und Polizeifahrzeugen ab-geriegelten Bereich auf einem Feld neben den Gleisen bei 1° C von 1 bis 7 Uhr früh in Gewahrsam genommen wurden, obwohl der Castor bereits ge-gen 3:30 Uhr die Versammlung passiert hatte?
  12. Gibt es Überlegungen, wie ein besseres Versammlungsklima in Karlsruhe zu erreichen ist und ist die Stadt bereit, die hierzu erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen?

Sachverhalt/Begründung

Zu den Fragen 1 bis 9 – Versammlungsfreiheit:

AnmelderInnen einer Versammlung erhalten häufig mehrseitige Auflagenverfügungen von Seiten der Versammlungsbehörde, in der das Recht auf Versammlungsfreiheit auf vielfältige Weise reglementiert wird, obwohl die Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes ein elementares Grundrecht ist, für das keine Genehmigung benötigt wird. Eine Versammlung muss lediglich angemeldet werden.

Auflagen können nach § 15 des Versammlungsgesetzes nur dann gemacht werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen. Es entstand nach Auffassung von JuristInnen der Eindruck, dass auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 VersG standardmäßig für viele Versammlungen Auflagen verfügt worden sind, die nur durch eine Vorwegnahme des von der früheren Landesregierung geplanten Landesversammlungsgesetzentwurfes möglich wären. Dieser Entwurf ist fast wortgleich mit dem ersten Landesversammlungsgesetz in Bayern, welches aber aufgrund schwerer verfassungsrechtlicher Bedenken des BVerfG in seinem Beschluss am 17.02.2009, AZ: 1 BvR 2492/08 bereits im Eilverfahren weitgehend wieder zurückgenommen werden musste.

Bei verschiedenen Anlässen, wie z.B. dem Protest gegen eine geplante Neo-Nazi-Aktion zu Ehren des Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess, bei einer Versammlung gegen den Karriere-Werbe-Truck der Bundeswehr, bei der Teilnahme an einem „SchülerInnenstreik“ für bessere Bildungsmöglichkeit usw., sind in Karlsruhe Maßnahmen ergriffen worden, die von den Betroffenen als nicht angemessen empfunden wurden.

Bei der friedlichen Kundgebung am 12.2.2011 auf dem Karlsruher Marktplatz wurde eine Durchführung der Versammlung von einer Vielzahl von Auflagen abhängig gemacht, obwohl die Voraussetzung für diese Auflagen nicht vorlagen. Ein Gerichtsverfahren zur Verhältnismäßigkeit dieser Auflagen ist anhängig.

Zu den Fragen 10 und 11 – Bußgeldbescheide nach der Nachttanzblockade:

Im Rahmen der „Nachttanzblockade“ galt ein 48-Stunden-Versammlungsverbot in Teilen der Stadt; gegen 30 bis 40 Personen wurden Bußgeldverfahren (mit Bußgeld von 200 €) eingeleitet, zwei Personen bekamen sogar ein Bußgeld wegen des Anbringens einer Wegbeschilderung mit Klebestreifen.

In anderen baden-württembergischen Gemeinden – zum Beispiel in Philippsburg, das sehr viel größere Protestkundgebungen als Karlsruhe erlebte – fanden Proteste friedlich und demokratisch statt, ohne dass teilnehmende Menschen durch Bußgeld-Drohungen oder verwirrende Auflagen abgeschreckt wurden. Durch die 2010 von der Bundesregierung durchgesetzte Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wurde der Widerstand von BürgerInnen gegen Castor-Transporte erheblich verstärkt. So haben sich an der Nachttanzblockade Menschen aller Alters- und Berufsgruppen beteiligt.

Die Ereignisse in Fukushima haben die Gefahren der Atomkraft auf dramatische Weise bestätigt. Als Konsequenz hat selbst die Bundesregierung ihre Position geändert und die Laufzeitverlängerung zurückgenommen. Dies macht deutlich, dass das Anliegen der DemonstrantInnen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch von einer sehr breiten gesellschaftlichen Unterstützung getragen war. Deshalb sind die AnfragestellerInnen der Meinung, dass nach dem im Bußgeldverfahren geltenden Opportunitätsprinzip die Bußgeldbescheide zurückgenommen werden sollten.

Zur Frage 12 – Versammlungsfreundlichkeit:

Ziel dieser Anfrage ist es, Klarheit über die Rechtsgrundlage und über die Form der Kooperation zwischen den zuständigen Behörden in Karlsruhe und den InitiatorInnen von Versammlungen unter freiem Himmel zu erlangen. Die UnterzeichnerInnen setzen sich für mehr Versammlungsfreundlichkeit in Karlsruhe ein und fordern die Stadtverwaltung auf, mit demokratischen und gewaltfreien Protestkundgebungen als Teil einer funktionierenden Demokratie konstruktiv umzugehen.

Unterzeichnet von: Manfred Schubnell, Alexander Geiger, Bettina Lisbach für die GRÜNE Gemeinderatsfraktion

Niko Fostiropoulos, Sabine Zürn für die Linken im Gemeinderat

Stellungnahme der Stadtverwaltung vom 20.09.2011

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